Pater Manuel, der damalige pädagogische Leiter des Kinderdorfes, ist am Apparat. „Auf einmal überschlugen sich die Ereignisse. Er sagte, dass wir eine Anfrage für neun Geschwisterkinder haben würden. Die ‚alte‘ Kinderdorfmutter hätte zugesagt, weiterzumachen, damit ich die neuen Kinder aufnehmen konnte“, schildert Dunkel. „Ich wusste nicht, in welches Haus ich ziehen sollte, wer die Kinder sind und wer bei mir arbeiten würde. Innerhalb einer halben Stunde sollte ich mich entscheiden, ob ich das mache.“ Ida Dunkel sagt zu, genauso, wie sie es in den nächsten 40 Jahren noch oft tun wird, denn wenn sie Kindern helfen kann, muss sie das tun – das sagt ihr die eigene, innere Motivation und Verantwortung.
Läuse, Geschwüre und Armut: Die ersten Eindrücke der Kinderdorfmutter
Nach einer Anbahnungsphase wird die Erzieherin mit 24 Jahren im August 1977 Kinderdorfmutter von neun Kindern im Kastanienhaus. „Die Kinder waren sehr verwahrlost und kamen aus ganz ärmlichen Verhältnissen“, erinnert sie sich. „Einen Koffer für alle neun Kinder und das, was sie am Leib trugen, mit mehr kamen sie nicht zu mir.“ Gemeinsam mit einer weiteren Erzieherin und einem „Zivi“ beginnt Dunkel den neuen Alltag. Die ersten Wochen verbringt sie damit, die Kinder in einen annehmlichen Zustand zu bringen. Sie behandelt gegen Läuse und Krätze, versorgt Wunden und Geschwüre, kleidet die Jungs und Mädchen neu ein und versteht auch: Gewohnheiten und Gedanken, die über Jahre aufgebaut worden sind, lassen sich nicht „mal eben“ ändern. „Die Kinder sind in einem ganz anderen sozialen Umfeld aufgewachsen und haben auch dementsprechende Verhaltensweisen mitgebracht“, erinnert sich die Schwalmtalerin. „All das hat mich nicht gehindert, die Kinder gern zu haben.“
Weder lesen noch schreiben können die neun Geschwister, umso kreativer sind sie darin, Herumliegendes in Spielzeug zu verwandeln. Manchmal war es eine regelrechte Talentschmiede.
Im Kinderdorf lernen sie, dass nicht nur jemand da ist, der auf sie achtgibt, sondern auch die alltägliche Versorgung immer gesichert ist. „Ich habe mir nie vorgenommen, ein Mutterersatz zu sein. Es gab ja auch eine leibliche Mutter“, sagt sie. „Aber wenn man so viel Zeit miteinander verbringt, geschieht Bindung, weil man die Kinder einfach lieb hat. Ich wollte die Kinder großziehen, meine vorgenommenen fünf Jahre waren nicht mehr wichtig.“