Eine ehemalige Jugendherberge in Sargenroth wird künftig 30 unbegleiteten minderjährigen Ausländern (kurz: umAs) ein vorübergehendes Quartier bieten. Die Trägerschaft übernimmt das Bethanien Kinder- und Jugenddorf Eltville. „Wir haben als soziale Einrichtung der stationären Kinder- und Jugendhilfe eine moralische Verpflichtung zu helfen, wenn sich eine passende Gelegenheit ergibt. Die Jugendherberge ist so eine passende Gelegenheit: Sie ist in einem guten Allgemeinzustand und die Zimmer sind möbliert. Die ersten Jugendlichen werden ab dem 27. Dezember bei uns einziehen“, berichtet Kinderdorfleiter Thomas Kunz.
Das Bethanien Kinderdorf Eltville ist seit Dezember 2022 auch im Rheingau als Träger eines eigenen umA-Bereichs aktiv. Engagierte und erfahrene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie gut geeignete Unterbringungsmöglichkeiten sind hierfür unerlässlich. Da das umA-Team im Rheingau sehr gut eingespielt ist, werden dort aktuell 24 Jugendliche betreut. 11 davon sind in der „Basis-Unterkunft“ in Winkel untergebracht; 13 sind bereits in sog. Trainingswohnungen umgezogen. Doch wie sieht die Arbeit im umA-Bereich konkret aus? Wie werden die Jugendlichen von den Pädagoginnen und Pädagogen betreut? Wie kann man sich den Alltag vorstellen?
„Eines ist uns sehr wichtig: dass Integration stattfindet. Wir möchten vermeiden, dass die Jugendlichen sich abschotten. Sie sollen Fuß fassen in der Gesellschaft, auch wenn dies für alle Beteiligten aufgrund kultureller Unterschiede nicht immer ganz leicht ist“, betont Gruppenleiter Mirko Konrad, der künftig den umA-Bereich im Hunsrück leiten wird. „Im Rheingau haben wir bereits einen guten Prozess etabliert, der auch funktioniert: Wenn die Jugendlichen bei uns ankommen, wird zunächst geschaut, was der- oder diejenige genau braucht. Das Erlernen der deutschen Sprache hat dabei oberste Priorität. Daher wird zuallererst ein Sprachkurs beim Jugendamt beantragt, der in der Regel 4-6 Wochen dauert. Danach geht es für die Jugendlichen in die Schule, wo sie in sog. Sprachintegrationsklassen eingegliedert werden.“
Doch die Sprache allein ist natürlich nicht alles. Damit sich die Jugendlichen gut integrieren können, ist es wichtig, dass ihre Betreuerinnen und Betreuer echte Perspektiven mit ihnen entwickeln und dass sie im Alltag zurechtkommen. Dafür wird es in der Jugendherberge eine feste Tagesstruktur geben. Denn eines möchten Konrad und sein Team nicht: Dass die Jugendlichen nichts mit sich anzufangen wissen und den ganzen Tag nichts zu tun haben. „Unser Ziel ist es, den jungen Menschen alle möglichen Dinge des täglichen Lebens beizubringen: waschen, putzen, einkaufen, kochen. Auch Themen wie Energieeffizienz und Mülltrennung gehören dazu. Dort, wo die Jugendlichen herkommen, ist das Leben eben oftmals anders“, so Konrad. „Sie müssen erst lernen, wie manche Dinge in Deutschland gehandhabt werden.“ Daher wird es bestimmte Dienste geben, in die die Jugendlichen eingeteilt werden, z.B. Koch- und Putzdienste. Auch ein Waschplan wird aufgestellt. „Bei so vielen Menschen brauchen wir vier Waschmaschinen, die vermutlich auch alle täglich laufen“, schmunzelt Konrad. Ganz alleine kann so ein großer Haushalt aber dann doch nicht gewuppt werden: Eine Hauswirtschaftskraft und eine Putzkraft werden deshalb unterstützen, dass die Räumlichkeiten ordentlich und sauber bleiben und der Haushalt geregelt wird.
„Uns ist auch wichtig, dass jeder der Jugendlichen einen festen Ansprechpartner hat, der sich um ihn kümmert. Deswegen werden wir ein Bezugsbetreuer-System etablieren“, erzählt Konrad weiter. Die Bezugsbetreuerinnen und -betreuer werden unter anderem dabei helfen, Anträge zu stellen, Arzttermine zu organisieren und ggf. zu begleiten, Schulanmeldungen und Vereinsmitgliedschaften zu beantragen und – wenn der Schulabschluss geschafft ist – die Jugendlichen in die Ausbildung zu bekommen. Auch bei sonstigen Fragen des täglichen Lebens oder möglichen Problemen, internen Streitigkeiten oder Themen sind sie jederzeit ansprechbar.
„Wir können wohl zu Recht sagen, dass unser umA-Bereich im Rheingau gut aufgestellt ist: Wir haben engagagierte Pädagoginnen und Pädagogen, geeignete Räumlichkeiten und motivierte Jugendliche, die wirklich wollen. Auch unser Verwaltungspersonal kennt nun die verwaltungsspezifischen Abläufe und das Prozedere, die der umA-Bereich mit sich bringt. Kurzum: Wir fühlen uns so gut aufgestellt, dass wir uns zutrauen, den umA-Bereich auf den Hunsrück auszuweiten“, so Kinderdorfleiter Kunz. „Denn das muss man ganz klar sagen: Der Bedarf ist da! Was das Ganze bei uns sehr besonders macht, ist die länderübergreifende Zusammenarbeit, die bundesweit wohl einmalig ist: Rheinland-Pfalz bietet mit der Jugendherberge die notwendigen Räumlichkeiten und Hessen übernimmt mit uns als Träger die personelle Betreuung. Die vorhandenen Plätze werden demnach auch unter beiden aufgeteilt: Wir erhalten Anfragen von Jugendämtern beider Bundesländer.“
Die Jugendherberge wird vom Bethanien Kinderdorf zunächst für ein Jahr angemietet. Ob eine Mietverlängerung darüber hinaus in Frage kommt, hängt mit den Flüchtlingsbewegungen zusammen. Aktuell hilft die Jugendherberge als zusätzliche Wohngruppe jedenfalls dabei, Notbelegungen in Turnhallen zu vermeiden und den Geflüchteten ein sicheres Dach über dem Kopf zu bieten.